Im ersten Teil der Malerei Ausstellung werden mit Werken von Helene Appel (DE), Jānis Avotinš (LT), Adrian Ghenie (RO), Toulu Hassani (IR), Kour Pour (GB) und Florian Süssmayr (DE) sechs verschiedene Positionen gezeigt. Die Arbeiten von Helene Appel, Toulu Hassani und Kour Pour sind in ihrer Bildsprache illusionistisch sowie bei Appel und Hassani weitestgehend klar und sachlich geprägt, wohingegen bei Adrian Ghenie eine stark gestisch-expressive Tendenz auszumachen ist. Jānis Avotinš figürliche Malerei besticht durch eine diffuse und reduzierte Darstellungsart und jene von Florian Süssmayr durch ihre fotorealistische Malweise als auch durch die Transformation von Motiven in unterschiedliche Bildträger.
Mit Jānis Avotinš ist ein langjähriger Künstler der Galerie vertreten, der mit seiner poetisch-subtilen Malerei in dezenter Farbigkeit einen unverkennbaren Stil prägt. Avotinš lässt seine menschlichen Figuren und Antlitze aus diffusen, meist undeutlich gehaltenen Kulissen hervortreten, die die Gestalten aus Raum und Zeit entrücken und ihnen eine eindringliche, teils unheimliche Aura verleihen. Verstärkt wird dieser Effekt durch einen häufig eingesetzten intensiven Hell-Dunkel-Kontrast. Avotinš verwischt die Spuren der Vergangenheiten und Identitäten seiner Figuren und greift dabei Themen wie Konstruktivismus oder Strukturalismus auf. Gerade durch das Herauslösen aus einem Kontext reflektiert Avotinš u.a. die Mechanismen von kulturellen Symbolsystemen, Kollektivsymboliken oder Ideologien: Die Figuren ohne Umgebungseinbettung und somit zuordenbare Milieus oder Funktionen sind auf sich alleine zurückgeworfen. Jānis Avotinš lebt in Berlin und stammt aus Lettland. In Riga, Manchester und Paris hat er seine künstlerische Ausbildung erhalten.
Die Arbeiten der jungen Künstlerin Toulu Hassani haben die Objekthaftigkeit, Materialität und Oberflächenbeschaffenheit von Malerei und ihrem Zubehör zum Thema. Ihre Werke fertigt Hassani zumeist in ausgefeilter Mischtechnik mit hoher Präzision und lockt den Betrachter damit in die Falle des Illusionismus. Man weiß nie genau, womit man es zu tun hat. Mal lassen ihre Arbeiten vermeintlich Keilrahmen durch die Leinwand hindurch schimmern, mal glaubt man, das grobe, unbehandelte Gewebe mit Abreibespuren vor sich zu sehen. Mit ihrer sensiblen Farbgebung verleiht Hassani ihren nur scheinbar sachlichen Materialanalysen stets eine individuelle Note. Die Werke referieren damit ganz nebenbei zusätzlich auf Strömungen wie die Farbfeldmalerei oder neuinterpretieren den Minimalismus. Hassani begreift die Leinwand als Verbündete und Gegnerin zugleich und spielt mit den Musterungen und Stoffeigenheiten, die sie in den verschiedenen Materialien einer bespannten Leinwand vorfindet. Toulu Hassani hat in Braunschweig und Valencia studiert und war Meisterschülerin von Walter Dahn. Im Jahr 2013 erhielt sie den Preis des Kunstvereins Hannover, 2014 war sie als Stipendiatin mit dem International Studio & Curatorial Program (ISCP) in New York.
Auch Helene Appel ist eine Meisterin der Wirklichkeitsbefragung. Täuschend echt malt sie klein geschnittenes Gemüse, Reiskörner, dünne Fäden von Fischernetzen, verschmutzte Wasserlachen oder Anspitzreste von Stiften. Die Motivauswahl ist stets am Alltäglichen orientiert, am Unscheinbaren und wenig Beachteten. Appel nähert sich den Dingen mit großer Ruhe, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, sie erweist ihnen die höchste Reverenz, indem sie nicht vorzugeben versucht, ihre Eigentümlichkeit zu dekonstruieren oder zu übersteigern und indem sie ihre individuelle Ausdruckskraft aus dem Arbeitsprozess gänzlich herausnimmt. Die fein gemalten Linien der Netze, die Pfützen aus Kunstharz und die anderen Bildgegenstände entsprechen dabei immer den Größenverhältnissen der Wirklichkeit. Mit großer Sensibilität und Geduld häuft Appel ihre Materialien und Einzelteile zu Gruppierungen an, die somit Teil eines Ganzen werden. Die Wiederholung und Aufreihung der einzelnen Teile kreieren dynamische Formationen und referieren u.a. auf die Kraft des Kollektivs. Die in Karlsruhe geborene und international vielfach ausstellende Künstlerin hat in Hamburg und London studiert. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Kour Pours Schaffen lässt sich als verwandte Position zu Toulu Hassanis und Helene Appels Œuvre einordnen. Wie auch diese beiden Malerinnen, ist der aus England stammende junge Künstler mit iranischen Wurzeln an einer wirklichkeitsgetreuen Gestaltung interessiert. Er findet seine Motive vor allem in der ornamentalen Ästhetik und im fantastischen Figurenrepertoire von alten persischen Teppichen. Pour geht es jedoch nicht nur um eine Reproduktion der formalen Schönheit dieser kulturhistorisch bedeutsamen menschlichen Handwerkskunst, sondern auch um eine Verdichtung, Collagierung und einen Remix der alten Muster und eine durch die moderne Technik ermöglichte Zirkulation von Bildern. So finden sich Abbildungen seiner Arbeiten neben jenen von antiken Teppichen mit entsprechendem Bilderfundus beispielsweise in Auktionskatalogen und im Internet. Pour spielt mit diesem Phänomen wie auch mit der zunehmenden Verschmelzung und Überlagerung von Hochkultur, Subkultur oder Gebrauchsgrafik. Manche der alt-persischen Geschöpfe und Fabelwesen oder Symbole der Macht und des Glaubens werden so heute als Clipart-Motive für illustrative Zwecke genutzt. Kour Pour lebt und arbeitet in Los Angeles, wo er auch das Otis College of Art and Design besucht hat.
Adrian Ghenies Arbeiten sind im Gegensatz zu den Positionen von Hassani, Appel und Pour einer gestischen Malerei zuzuordnen. Seine Werke bewegen sich zwischen figürlichen und abstrakten Darstellungsformen, insofern als einzelne figurative Bildbereiche oftmals verwischt oder mit Flecken und Tupfen überlagert sind. Ghenie beschäftigt sich mit historischen Personen aus Wissenschaft, Kunst und Politik und erzeugt Settings, die eine tendenziell düstere Stimmung evozieren. Immer wieder werden Interieurs gezeigt, die mit großen Sesseln ausgestattet sind, in denen zuweilen seine Figuren beim Innehalten und Nachdenken zu sehen sind. In anderen Situationen stehen sie in theatralisch anmutender Pose im Raum und verdecken ihr Gesicht mit den Händen oder scheinen im Begriff zu sein, sich den Kopf zu raufen. Die Gesichter sind dabei immer wieder unkenntlich gemacht. Auch andere Staffage in den Interieur-Gemälden erinnert an Ästhetiken des kommunistischen Regimes Rumäniens, in dem Ghenie aufgewachsen ist. Ghenie repräsentiert in diesem Jahr Rumänien auf der Biennale von Venedig. Er wurde in Baia Mare geboren, hat an der Universität für Kunst und Design Cluj (UAD) sein Kunststudium absolviert und lebt und arbeitet in Cluj und Berlin.
Florian Süssmayrs Arbeiten bezeugen eine große malerische Könnerschaft. Seine fotorealistischen Gemälde sind meist in Braun-, Grau- und Schwarztönen gehalten und zeigen augenblickshafte Motive aus der Punk- oder Rockmusikszene, dem Milieu bayerischer Kneipen- und Wirtshauskultur oder alltäglicher Phänomene. Durch den steten Einsatz von Sepiatönen scheinen die Sujets einer jüngeren Vergangenheit zu entstammen. Sie tragen Spuren einer "rebellischen Jugend" in sich, auf die Florian Süssmayr gleichfalls zweifelsfrei wie Malerkollegen wie Daniel Richter oder Albert Oehlen zurückblicken kann. Die verschiedenen Sujets und Materialien werden von Süssmayr einer Verwandlung und Neuanordnung unterzogen: Aus einem Foto wird Malerei, diese wird fotografiert, fotokopiert oder als Tapete gedruckt und somit zum Hintergrund für neue Bilder. Bezeichnend für Süssmayrs Werk ist auch der Einsatz von Text, der in Form von Logos, Plattencovertiteln oder manifestartigen Aphorismen auftaucht. Referenzen auf die Arbeit von KünstlerkollegInnen, bekannte Orte, Motive und Personen lassen sich im umfangreichen Schaffen von Süssmayr allenthalben finden. Florian Süssmayr lebt in München, er war als Musiker aktiv und arbeitete über einen längeren Zeitraum beim Film.
Im zweiten Teil der Painting Show, die am 11. September 2015 eröffnet wird, werden Arbeiten von Thomas Helbig (DE), Ma Ke (CN), Karin Kneffel (DE), Andrew Palmer (GB), Qiu Ruixiang (CN) und Thomas Zipp (DE) gezeigt.
(S. Kunz)