Im zweiten Teil der Painting Show präsentiert Rüdiger Schöttle Malerei von Thomas Helbig (DE), Ma Ke (CN), Karin Kneffel (DE), Andrew Palmer (GB), Qiu Ruixiang (CN) und Thomas Zipp (DE), nachdem im ersten Teil der Malereiausstellung (12. Juni – 31. Juli 2015) Werke von Helene Appel (DE), Jānis Avotinš (LT), Adrian Ghenie (RO), Toulu Hassani (IR), Kour Pour (GB) und Florian Süssmayr (DE) gezeigt wurden.
In Thomas Helbigs neuesten Arbeiten leuchten wie bei Photogrammen immaterielle Spuren von Schmuck, Zierketten und kosmischen Motiven im Dunkel des Malgrundes auf. Helbig verwendet farbige Bühnenstoffe als Trägermaterial. Im Unterschied zur Leinwand schluckt die Oberfläche das auftreffende Licht oder reflektiert es in einem weichen Schimmer. Die Sichtbarkeit der goldenen Webkante verstärkt die feierliche Anmutung des Stoffes und unterläuft gleichzeitig auf subtile Weise dessen Pathos. Ihr täuschendes Gegenlicht, in dem die fragilen Negativformen erscheinen, verdanken sie dem Farbnebel, den der vorangegangene Sprühvorgang hinterlassen hat. Die eigentlichen Dinge sind verschwunden, was wir wahrnehmen ist ihr Nachglühen. Diese Umkehrung der Malerei fungiert hier wie das sprichwörtliche "Hinters Licht führen" und so wirft Helbig im hybriden Spiel mit Material und Farbauftrag die Frage des Mediums nach Darstellung und Repräsentation auf. Thomas Helbig hat an der Akademie der bildenden Künste in München und am Goldsmiths College in London studiert. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Im Zentrum von Ma Kes Schaffen steht die oftmals in ein surreal anmutendes Setting platzierte menschliche Figur. Durch verzerrte Darstellungsformen nimmt sie eine starke Präsenz im Bildgeschehen ein: Häufig ist der Körper in der Breite gedehnt gemalt oder die Köpfe sind mit einer unnatürlich hohen Stirn versehen. Immer wieder scheinen Ma Kes Charaktere mit eigentümlichen Apparaturen zu hantieren bzw. haben diese den Anschein, mit den Körpern verbunden zu sein. Handelt es sich um McLuhan'sche Gerätschaften des elektronischen Zeitalters, die Ma Ke als Klotz am Bein visualisiert? Der Medientheoretiker Marchall McLuhan betrachtete Medien als Erweiterungen – "extensions" – aber auch als Amputationen des menschlichen Sinnesapparates. In seinen Theorien geht es darum, wie die Medialität den Menschen und damit auch die Gesellschaft verändert und unmittelbar menschliches Denken, Handeln und unsere Wahrnehmung bestimmt. Auch Ma Ke wurde durch chinesische Medienpolitik sowie gesellschaftliche Praktiken Chinas geprägt. Er war zunächst stark von traditioneller chinesischer Ölmalerei und dem sozialistischen Realismus beeinflusst, bis er an der Kunstakademie von Tianjin eine ganz neue Wahrnehmung entwickelte, sich von Restriktionen befreite und zu seiner eigenen bildnerischen Sprache fand. Seinen MFA absolvierte er an der Central Academy of Fine Arts (CAFA) in Beijing. Ma Ke wurde in Zibo in der Provinz Shandong geboren. Er lebt und arbeitet in Beijing.
Karin Kneffel erfasst mit ihrer realistischen Malerei ein breites Spektrum an Motiven, denen Sie sich mit gleichbleibender unvoreingenommener Distanziertheit wie auch Präzision in der Darstellung annähert. Seit Anfang der 2000er Jahre bilden Interieurs und Fensterbilder einen Schwerpunkt ihres Schaffens. Die Spiegelungen in polierten Fußböden, schimmerndem Mobiliar, glatten Scheiben, Fernsehmonitoren oder in Gemälden im Gemälde erzeugen Vexierspiele über das Erkennen von Außen und Innen, Vorder- und Hintergrund wie auch Vergangenem und Gegenwärtigem. Kneffel transferiert alles auf die zweidimensionale Fläche der Leinwand und lässt Raum und Zeit in einem Moment anhalten. Der gekonnte Einsatz von Lichteffekten unterstützt die Undefinierbarkeit und mysteriöse Stimmung der Szenarien. Sie muten wie schockgefroren an und erinnern zuweilen an Stills aus Filmen von David Lynch. Kneffel setzt immer wieder das nasse Element des Wassers ein, das in Form von Tropfen oder Rinnsalen auf den Fensterscheiben sitzt, durch die hindurch sich den BetrachterInnen teils ganze Bildräume offenbaren. In den Wasserflecken lodern nochmals Farben und Oberflächen der Requisiten auf. Die Malerei Kneffels changiert durch diesen Kunstgriff gelegentlich beinahe ins Abstrakte. Karin Kneffel war Meisterschülerin bei Gerhard Richter und ist Professorin für Malerei an der Akademie der bildenden Künste München.
Andrew Palmers abstrakt-geometrische Malereien ähneln in ihrer Bildsprache jenen von Thomas Helbig. Wie auch bei Helbigs Arbeiten erinnern die mäandernden, undefinierbaren Flächenbereiche und Linien seiner Gemälde an makrokosmische Strukturen oder lassen mikroskopische Aufnahmen wie auch geologische Formationen ersinnen. Es eröffnen sich symbolische Orte und Welten mit verästelten Wegen, die in uns oder weit außerhalb von uns liegen könnten. Immer wieder tauchen geometrische, schwerelos anmutende Gebilde auf, die als transparente Körper den Bildhintergrund durchscheinen lassen. Vordergrund und Hintergrund, Konkretes und Abstraktes kippen ineinander. Nicht zuletzt trägt Palmer seine Materialien – Ölfarbe, Acrylgips oder Lack – nicht nur auf Leinwände, sondern auch auf gefundenes Gestein auf. Die bearbeiteten Bereiche lassen hierbei die Illusion aufkommen, man sähe die glatt geschliffenen Ebenen der Steingebilde mit ihren schimmernden Farbflächen und Aderlinien vor sich. Sie stehen in Kontrast zu den rauen, unbehandelten Oberflächen der Gesteine. Palmer schaut sich Gestaltungsformen und Oberflächenstrukturen der Natur ab und macht diesen in seinen Malereien und Objekten regelrecht Konkurrenz. "Die Kunst steckt in der Natur", wusste bereits Albrecht Dürer und Haeckels "Kunstformen der Natur" erfreuten sich schon bei bildenden KünstlerInnen der vorherigen Jahrhundertwende großer Beliebtheit. Andrew Palmer wurde in Salisbury (UK) geboren und absolvierte sein Kunstdiplom an der Slade School of Fine Art. Er lebt und arbeitet in London.
Qiu Ruixiang rückt wie sein chinesischer Künstlerkollege Ma Ke die menschliche Figur in den Mittelpunkt seines Schaffens. Seine Protagonisten erwecken den Anschein entweder in handwerkliche Arbeiten vertieft zu sein oder meditative leibliche Übungen - wie Qigong, eine chinesische Konzentrations- und Bewegungsform zur Kultivierung von Körper und Geist - auszuführen. Die Figuren treten stets aus einem in verschiedenfarbigen Schattierungen gehaltenen Dunkel hervor und sind von einer starken Lichtquelle dramatisch in Szene gesetzt, womit sie sich aus der Umgebung herausheben und ihre inneren Spannungen gesteigert zum Ausdruck gebracht werden. Regelmäßig sind die Charaktere alleine in ihre Tätigkeiten versunken und wirken in stiller Emotionalität von der äußeren Welt abgegrenzt. Verstärkt wird dieser Effekt durch eine teilweise eingesetzte Draufsicht, bei der im übertragenen Sinne ein auktorialer Erzähler – von oben und aus der Distanz – das Geschehen beobachtet. Ruixiangs Figuren strahlen eine kontemplative und in sich gekehrte Aura aus. Seine Arbeiten bestechen gerade dadurch, dass sie sich von allzu Zeitgenössischem unterscheiden und eine unaufdringliche Farbigkeit und Ruhe zelebrieren. Qiu Ruixiang hat an der Akademie der bildenden Künste von Xi'an studiert. Er stammt aus Shanxi und lebt und arbeitet in Xi'an.
Thomas Zipp behandelt in seinem Schaffen künstlerische, wissenschaftliche, religiöse und soziale Utopien und thematisiert dabei deren Hoffnungen, Versprechen wie auch ihr Scheitern. Zur Umsetzung seiner Assoziationen benutzt er nicht nur malerische Mittel, sondern greift stets auch auf Zeichnung, Fotografie, Fotokopie, Skulptur und Objekt zurück, wobei die diversen Medien von Zipp bevorzugt in programmatisch raumgreifenden Inszenierungen assembliert werden. Darüber hinaus ist Thomas Zipp auch in der Musik und Textarbeit aktiv. Sein "narrativer Konzeptualismus" greift verschiedenste gestalterische Stilmittel auf. So lassen sich seine Arbeiten teils als ironisch und humorvoll, teils als poetisch-sinnlich bis düster-melancholisch interpretieren. Die Darstellung von Begrifflichem spielt in Zipps Gemälden eine zentrale Rolle, womit sich sein malerisches Œuvre deutlich von einer lauten, bunten und poppigen Malerei unterscheidet. Immer wieder kreisen jene Begrifflichkeiten um die Themenfelder Körper und Geist, Norm und Abweichung, Unbewusstes oder Visionäres. Psychologische Konzepte und Theorien und Forschungen über die Geschichte der Psychiatrie alla Michel Foucault sind von Zipp bevorzugt aufgegriffene Gegenstandsbereiche. Stets ist auch eine Auseinandersetzung mit historischen Kunstströmungen wie dem Kubismus, Futurismus oder dem Surrealismus in Zipps Werken erfahrbar. Thomas Zipp studierte an der Städelschule Frankfurt und der Slade School of Fine Art in London. Er ist Professor für Malerei und Multimedia an der Universität der Künste Berlin.
(S. Kunz)